Stellungnahme zur Raumbesetzung und Räumung am 13.12.2022
Studentisches Engagement gehört zur LMU. Protest gehört zur LMU!
31.12.2022
Stellungnahme der Fachschaft Geschichte zu den Ereignissen um die Hörsaalbesetzung in der LMU am Dienstag, den 13.12.2022
Was ist passiert?
Am Dienstag, den 13.12.2022, besetzte eine Gruppe Aktivist:innen den Hörsaal A240 im LMU-Hauptgebäude. Die Hochschulleitung forderte die Besetzenden auf, den Hörsaal zu verlassen und ließ ihn schließlich gegen 15 Uhr durch ein Großaufgebot der Polizei räumen.
Unsere Kritikpunkte:
Wir verurteilen das Vorgehen der Hochschulleitung der LMU, welche kein konstruktives Gespräch mit den Protestierenden gesucht und die Räumung des Hörsaals veranlasst hat.
Die Beispiele anderer Hochschulen zeigen, dass ein anderer Umgang mit vergleichbaren Protesten möglich ist, etwa eine Tolerierung des Protests über Tage und Wochen hinweg und ein offener Diskurs mit den Aktivist:innen und der Studierendenschaft.
Der Verweis der Hochschulleitung auf die Aufrechterhaltung der Lehre ist für uns keine hinreichende Rechtfertigung für das gezeigte Vorgehen der Hochschulleitung.
Das fordern wir:
Zwar hat die LMU keine Anzeigen gegen die Protestierenden erstattet, doch allein die Tatsache, dass die Hochschulleitung Anzeigen erwogen und damit gedroht hat, halten wir für unverhältnismäßig. Polizeiliche Räumung und Anzeigen gegen friedlichen Protest halten wir für unangemessen.
Wir fordern die Hochschulleitung dazu auf, ihr Vorgehen ausführlich zu erklären und einen offenen Diskussionsprozess über Engagement- und Protestformen an der LMU anzustoßen.
Wir halten die Universität für einen Ort der Bildung und des gesellschaftlichen Diskurses, zu dem auch friedlicher Protest gehört. Zum Studieren an der LMU gehört auch, sich bewusst mit politischem Aktivismus und Protest auseinanderzusetzen.
Ausführliche Stellungnahme
Die Hörsaalbesetzung am 13.12.22 und deren Räumung
Am Dienstag, den 13.12.2022, besetzten gegen 10 Uhr etwa 30 bis 50 Aktivist:innen den Hörsaal A240 des LMU-Hauptgebäudes, um ihren hochschul- und allgemeinpolitischen Forderungen Gehör zu verleihen. Wenige Stunden darauf forderte das LMU-Präsidium die Gruppe auf, unverzüglich die LMU zu verlassen und ließ, als die Besetzenden dem nicht nachkamen, den Saal durch ein Großaufgebot von Polizei räumen. Im Zuge der Räumung wurden Platzverweise auch gegenüber einigen Umstehenden auf dem Gang sowie einigen Dozierenden und Studierenden, welche im Zuge eines Kurses spontan Feldforschung zum Protest vor Ort betrieben, ausgesprochen.
Kein souveräner und kommunikativer Umgang mit dem Protest
In den vergangenen Wochen haben verschiedene Gruppen deutschlandweit Hörsäle an Universitäten besetzt, etwa im Rahmen der “EndFossil”-Kampagne. In fast allen Fällen wurden Besetzungen über mehrere Tage hinweg seitens der Hochschulleitungen geduldet. Mehrere Hochschulleitungen haben einen ausführlichen Austausch mit den Besetzenden gesucht und teils konkrete Änderungen angestoßen [1,2 und 3].
Wir verurteilen den Umgang der Hochschulleitung der LMU mit dem friedlichen Protest und schließen uns damit der vorläufigen Stellungnahme [4] von Vorsitz und Geschäftsführung des Konvents der Fachschaften der LMU vom 13.12.2022, aktualisiert am 14.12.2022, an. Der vergleichende Blick auf andere Hochschulen zeigt, dass es Alternativen zum Umgang mit den Protestierenden gibt, welche die Hochschulleitung der LMU jedoch nicht genutzt hat.
So hätte die Hochschulleitung den Protest beispielsweise einige Tage lang tolerieren, das direkte und offene Gespräch mit den Aktivist:innen suchen und sich währenddessen bemühen können, Alternativen für den Lehrbetrieb im besetzten Hörsaal zu finden. Dies hätte unserem Verständnis vom Umgang mit friedlichem Protest entsprochen und aus unserer Sicht gegenüber den LMU-Studierenden und der Öffentlichkeit souveräner gewirkt.
Wir begrüßen, dass die Hochschulleitung laut ihrer Pressemitteilung vom 13.12.2022 [5] keine Anzeige gegen die Protestierenden erstatten möchte. Wir halten jedoch die Androhung von Anzeigen gegen friedliche Demonstrierende für kein angemessenes Mittel und verurteilen, dass die Hochschulleitung am 13.12.2022 vor der Räumung laut unseres Kenntnisstands mündlich mit Anzeigen gedroht hat. Sollten die Protestierenden im weiteren Verfahrensverlauf die Kosten des Polizeieinsatzes tragen müssen, fordern wir die Hochschulleitung dazu auf, diese Kosten zu übernehmen, da das Vorgehen der Hochschulleitung den Polizeieinsatz herbeigeführt hat.
Lehre und Protest - beides muss möglich sein
Die Hochschulleitung argumentierte, die Besetzung stelle eine inakzeptable Einschränkung der Lehre an der LMU dar. Wir verweisen darauf, dass die Aktivist:innen bewusst den Hörsaal A240 besetzten und nicht wie ursprünglich geplant A140, wo eine Klausur geschrieben wurde, um die Studierenden dort nicht einzuschränken. Wir glauben bezogen auf den konkreten Fall dieser Hörsaalbesetzung, dass mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Hochschulleitung und LMU-Raumverwaltung negative Konsequenzen für die Lehre hätten eingedämmt werden können. Eine ausführliche Erklärung der Hochschulleitung und Raumverwaltung, welche Bemühungen sie unternommen haben, um bei einer länger anhaltenden Hörsaalbesetzung Einschränkungen für den Lehrbetrieb abzuwenden, würde zur Klärung dieses gegenwärtig von uns nicht abschließbar beurteilbaren Sachverhalts beitragen. Die Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Lehre allein sind unserer Ansicht nach als Begründung für das gezeigte Verhalten der Hochschulleitung unzureichend.
Unsere Sorgen um den Bildungsbegriff
Die Diskussion um die Hörsaalbesetzung und den Umgang damit betrifft unserer Ansicht nach zentrale Fragen zur Definition von Universitäten und dem Bildungsbegriff, insbesondere ob Protest an Universitäten als Orte der Bildung gehört. Bildung ist mehr als das Lernen von Fakten und die Interpretation akademischer Sachverhalte. Zu zivilgesellschaftlicher Bildung gehört unter anderem Sensibilisierung für politischen Diskurs. Das wird in erster Linie durch Erfahrungen, Engagement und praktische Handlungen gewährleistet und drückt sich mitunter auch in friedlichem Protest aus. Wer friedlichen Protest aus der Universität ausschließt, verengt unserer Ansicht nach den Bildungsbegriff in einer besorgniserregenden Weise.
Wie soll unsere Universität sich zu Engagement und Protest verhalten?
Die Universität ist ein Ort der Bildung und des gesellschaftlichen Diskurses. Politische Partizipation von Studierenden als aktive Bürger:innen ist für uns essentieller Teil einer lebendigen und resilienten Demokratie, was sich auch im friedlichen Protest ausdrücken kann. Gerade das Studieren an der LMU, welche nicht zuletzt die Erinnerung an die Geschwister Scholl hochhält, bedeutet für uns auch, sich bewusst mit politischem Aktivismus und Protest auseinanderzusetzen, ohne dabei historische Parallelen zu ziehen. Wir verweisen auf den Offenen Brief vom 27.01.2021 des Konvents der Fachschaften der LMU [6], der die Förderung demokratischer Strukturen an der LMU fordert sowie den Stellenwert von Universitäten als Institutionen der Demokratie betont.
Wir fordern die Hochschulleitung auf, sich gegenüber den Aktivist:innen, der Studierendenvertretung der LMU sowie der gesamten LMU-Gemeinschaft zu erklären und insbesondere eine offene und partizipativ gestaltete Debatte darüber anzustoßen, als welchen Ort sie die LMU versteht, sowie welche Formen von Engagement und Protest zur LMU gehören sollen. Die Kommunikation mittels kurzer Pressemitteilungen ist für uns in Anbetracht der enormen Bedeutung der Thematik zu oberflächlich und damit unzureichend.
Wir sind bestürzt über die aktuellen Ereignisse und hoffen, dass sie alle Fachschaften, Studierendenvertreter:innen sowie anderweitig Engagierte sensibilisieren, sich noch aktiver als bislang an der Universität einzubringen und sich kritisch mit dem Verhalten der Hochschulleitung auseinanderzusetzen. Wir begrüßen die vorläufige Stellungnahme von Vorsitz und Geschäftsführung des Konvents der Fachschaften der LMU und fordern den Konvent der Fachschaften auf, in seiner nächsten Sitzung am 11.01.2023 eine ausführliche Positionierung zu beschließen.
Wir laden grundsätzlich alle Interessierten dazu ein, die offiziellen Kanäle für studentisches Engagement, etwa Fachschaften und Referate der Studierendenvertretung zu nutzen. Darüber hinaus gehört auch friedlicher Protest zu einer offenen, demokratischen und lebendigen Universität.
Anmerkung zur Informationslage: Diese Stellungnahme beruht auf Informationen aus Pressemitteilungen der LMU, Diskussionen im Rahmen des Konvents der Fachschaften sowie Austausch mit Studierenden. Stand ist der 29.12.2022. Da sich die Informationslage in den vergangenen Tagen laufend verändert hat, behalten wir uns Anpassungen und Ergänzungen der Stellungnahme vor, welche wir dann transparent machen. Wir bitten alle Lesenden, uns inhaltliche Ergänzungen und kritische Anmerkungen mitzuteilen.
Links zu den zitierten Zeitungsartikeln, Stellungnahmen und Pressemitteilungen (alle zuletzt aufgerufen am 27.12.2022):
[1] Rasmus Blasel: Wegen Hörsaalbesetzung: Uni lädt Klimaaktivisten zum Gespräch ein:
https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-wegen-hoersaalbesetzung-uni-laedt-klimaaktivisten-zum-gespraech-ein-id64729901.html
[2] Klimaaktivisten besetzen Aachener Hochschulgebäude: https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/aachen-rwht-klima-hoersaal-besetzung-protest-100.html
[3] Studierende beenden Hörsaal-Besetzung an der Uni Leipzig: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/uni-hoersaal-besetzung-klima-protest-kompromiss-100.html
[4] StuVe: Update: Vorläufige Stellungnahme zur Raumbesetzung und Räumung am 13.12.2022:
https://www.stuve.lmu.de/aktuelles/2022/vorlaeufige-stellung-13-12-22/index.html
[5] LMU: Besetzter Hörsaal geräumt:
https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/besetzter-hoersaal-geraeumt.html
[6] Offener Brief des Konvents der Fachschaften der LMU zur geplanten Reform des bayerischen Hochschulgesetzes:
https://www.stuve.uni-muenchen.de/unsere_inhalte/bayer-hochschulreform/offener-brief-stuve.pdf